Wir sind der Ansicht, dass Geschichte eine komplizierte Angelegenheit ist: Es gibt nicht die eine richtige, dafür aber viele unvollständige oder auf einseitigen sogenannten Fakten oder problematischen Tatsachenberichten basierende Geschichtsschreibungen. Es ist tatsächlich schwierig zu wissen, wie sich um Jahrhunderte zurückliegende Ereignisse tatsächlich zugetragen haben. Klar ist aber, dass viele historisch wichtige Stimmen nicht beachtet, überhört und dadurch stumm gemacht wurden und werden. Auf der anderen Seite werden unbequeme Aspekte der weißen westlichen Geschichte oft wissentlich ignoriert. Zum Beispiel lernen wir nicht an deutschen Schulen, dass in den Zeiten der französischen Revolution auch die Bewohner*innen Haitis für ihre Freiheit und Unabhängigkeit von Frankreich kämpften oder dass deutsche Sozialdemokrat*innen noch Anfang des 20. Jahrhunderts das Für und Wider von Kolonialismus diskutierten.

Beispielsweise macht die lückenhafte Beschäftigung mit deutschem Kolonialismus in Schulbüchern deutlich, dass Geschichtspolitik und Erinnerungskultur ein durch viele, sich widersprechende Interessen geprägtes Feld ist (Schulbuchstudie Migration und Integration 2015: 63). Die öffentliche Diskussion um den Abriss des Palastes der Republik in Berlin und den Neuaufbau des feudalen Berliner Stadtschlosses (inklusive ethnologischer Sammlung im Humboldtforum, die u.a. in den deutschen Kolonien geraubt wurde) sind ein Beispiel dafür, wie hegemoniale Geschichtspolitik versucht vorzuschreiben, was wir wie zu erinnern haben und was zu überschreiben, auszulöschen, zu vergessen ist (www.no-humboldt21.de).

Wir fragen uns also: Wie können wir Geschichte(n) ausgraben, lesen, erinnern, hörbar machen, lehren und für unsere Zukunftsentwürfe verwenden?

Das eLearning Tool und die dazugehörige Publikation connecting the dots – Lernen aus Geschichte(n) zu Unterdrückung und Widerstand sind aus der Überzeugung entstanden, dass Geschichte nichts Abgeschlossenes ist, die Vergangenheit nicht hinter uns liegt, und dass Erinnerung nie widerspruchsfrei ist. Wir bauen auf den Wissensarchiven unzähliger sozialer Bewegungen, politischer Gruppen und Individuen auf und (hinter)fragen: Was ist Geschichte und Geschichtsschreibung, wer hat bisher Geschichte geschrieben und wer nicht? Welche Geschichten wurden ausgelassen oder nur aus hegemonialer Perspektive beschrieben? Wie können wir welche Geschichte(n) in Bildungszusammenhängen vermitteln und mit welchen Methoden?

Auch in der Darstellung von Gegengeschichte(n) gibt es Fallstricke: Romantisieren wir durch die Gegenüberstellung nicht-hegemoniale Perspektiven und stellen somit alle widerständigen Perspektiven unterkomplex dar? Bleiben wir selbst in der vereinfachenden Oppositionen von widerständigen Kolonisierten auf der einen und unterdrückenden Kolonisierer*innen auf der anderen Seite gefangen und somit in bestehenden Logiken gefangen, statt neue Strukturen zu schaffen?

Wie dem auch sei, mit den Zitaten von connecting the dots wollen wir daran erinnern, wie mächtige, hegemoniale Konzepte geschaffen wurden, aber vor allem auch daran, welche Widerstände und Alternativen es dagegen und dazu gab, „dass menschliche Geschichte nicht nur eine Geschichte der Grausamkeit ist, sondern auch eine Geschichte des Mitgefühls, der Aufopferung für andere, des Mutes, der Freundlichkeit (…) Wenn wir nur das Schlimmste sehen, zerstört dies unsere Fähigkeit, etwas zu tun (Howard Zinn 2006: A power governments can not supress, S. 270).

Verknüpfte Geschichten: connecting the dots

Darum wollten wir mit connecting the dots die machtkritische Zeitstrahlmethode ausbauen, mit der glokal schon seit vielen Jahren arbeitet. Wir haben über Jahre zahlreiche Zitate von Menschen aus vielen Epochen und Erdteilen und mit vielfältigen gesellschaftlichen Perspektiven (in Bezug auf Klasse, Geschlecht, Sexualität und Rassifizierung) gesammelt. Diese Multiperspektivität auf Geschichte soll dazu beitragen, Geschichte(n) umzuschreiben, neu zu lernen, zu verlernen und selbst aktiv zu werden in widerständiger und nicht-hegemonialer Geschichtsschreibung und Gegenwartsgestaltung.

Bisher besteht Connecting the Dots aus zehn thematischen Zeitstrahls zu Arbeit, Entwicklung, Gender und Sexualität, Mensch-Natur-Verhältnisse, Demokratie und Herrschaft, Kapitalismus, Kolonialismus, Kultur, Migration und Flucht sowie Rassismus im deutschen Kontext. Das eLearning Tool ist offen für Einsendungen von neuen Zitat-Beiträgen und Anmerkungen. Wir möchten euch herzlich dazu auffordern, Zitatbeiträge einzusenden, um dekoloniale, widerständige und emanzipatorische Archive noch fundierter zu gestalten! Das eLearning Tool soll zukünftig auch in weitere Sprachen übersetzt werden, um sowohl von Menschen im deutschsprachigen Raum, die nicht Deutsch sprechen, als auch außerhalb dieses Raumes nutzbar zu sein.

Zu jedem Zitat gibt es Kurzbiographien, Interpretationshilfen und Tipps zum Weiterlesen. Weiteres Material für eure Bildungspraxis zu allen Themen des Zeitstrahls findet ihr auch auf unserer Seite www.mangoes-und-bullets.org unter den jeweiligen Schlagwörtern (z.B. Kapitalismus, Gender, oder Kolonialismus) oder über die Suchfunktion.

In der Broschüre connecting the dots findet ihr Vorschläge für die Arbeit mit den Zeitstrahlzitaten im Unterricht und der politischen Bildungsarbeit. Außerdem sind dort Hintergrundartikel und Interviews zu einigen Zeitstrahlthemen zu finden.

Wir freuen und über Lob und sind gespannt auf Kritik und Rückmeldungen aus eurer Praxis. Gerne können wir in Workshops und Beratungen mit euch gemeinsam zu euren Themen arbeiten!

Ein anregendes eLearning wünscht euch,

Das Team von glokal e.V.