Antisemitismus17

Quote:

Wir sind ein Volk, ein Volk. Wir haben überall ehrlich versucht in der uns umgebenden Volksgemeinschaft unterzugehen und nur den Glauben unserer Väter zu bewahren. Man läßt es nicht zu. Vergebens sind wir treue und an manchen Orten sogar überschwängliche Patrioten, vergebens bringen wir dieselben Opfer an Gut und Blut wie unsere Mitbürger, vergebens bemühen wir uns den Ruhm unserer Vaterländer in Künsten und Wissenschaften, ihren Reichtum durch Handel und Verkehr zu erhöhen. In unseren Vaterländern, in denen wir ja auch schon seit Jahrhunderten wohnen, werden wir als Fremdlinge ausgeschrien; oft von solchen, deren Geschlechter noch nicht im Lande waren als unsere Väter da schon seufzten.

Quelle:

Theodor Herzl (1896): Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage. Leipzig/Wien 1896, S. 12-22.

Autor*inneninfo:

Ungarn: Theodor Herzl. Herzl (1860-1904) gilt als zentrale Figur des modernen Zionismus. Er kam 1860 in Pest, dem heutigen Budapest, in einer assimilierten jüdischen Familie zur Welt. Mit seiner 1896 vorgelegten Schrift "Der Judenstaat" legte er den Grundstein für den späteren Staat Israel. Mit dem "Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage" reagierte Herzl auf den nur zwei Jahre zuvor in Paris stattgefundenen und offenkundig antisemitisch motivierten Prozess gegen den Artilleriehauptmann Alfred Dreyfus. Innerhalb der zionistischen Bewegung avancierte Herzls Schrift zur wegweisenden Vision eines in Palästina zu schaffenden jüdischen Staates.

Kontext:

Herzl, als Korrespondent für die Wiener "Neue Freie Presse" seit 1891 in Paris tätig, war Augenzeuge und Berichterstatter der Dreyfus Affäre. Beim Entleeren des Papierkorbs des Militärattachés Max von Schwartzkoppen in der deutschen Botschaft in Paris fischte eine Putzfrau, die für den französischen Geheimdienst tätig war, am 25. September 1894 ein Schriftstück heraus, das sie dem Nachrichtenbüro des Kriegsministeriums übergab.  Das bordereau war handschriftlich verfasst beinhaltete sensible militärische Informationen, wies allerdings keinen Verfasser auf. Der Verdacht fiel schnell auf einen patriotischen und sehr ehrgeizigen jüdischen Artilleriehauptmann namens Alfred Dreyfus (1859 - 1935), der seit Januar 1893 eine zweijährige Schulung im Generalstab absolvierte und zurzeit in ein Pariser Infanterieregiment abkommandiert war. Am 14. Oktober 1894 wurde Dreyfus verhaftet. Das Kriegsministerium bemüht, den Fall möglichst schnell abzuschließen und wenig an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen. Und doch wurden gezielte (wenn auch fingierte, wie sich später herausstellen sollte) Informationen an die Presse gegeben, die sich sogleich auf den Fall stürzte. Ob liberale oder konservative Zeitungen, die verbalen Flammenwerfer richteten sich - ungeachtet des Wahrheitsgehaltes der Anschuldigungen - auf den "Juden Dreyfus". Als am 5. Januar 1895 der verurteilte Dreyfus die erniedrigende Prozedur der öffentlichen Degradierung über sich ergehen lassen musste, säumten 20 000 Schaulustige den Zaun der École Militaire oder kletterten auf die umliegenden Bäume und skandierten: "Tod dem Verräter! - Tod dem Juden!" Herzl, der 1897 den ersten Zionistenkongress in Basel einberufen hatte, erkannte spätestens nach dem Revisionsprozess 1899 und der erneuten Verurteilung Dreyfus', dass es hier nicht um die Verurteilung eines x-beliebigen Offiziers, sondern um die Schuldzuweisung gegenüber einem "Juden" ging. 1899 bekannte er in der "North American Review": "Zum Zionisten hat mich der Prozeß Dreyfus gemacht."

Zum Weiterlesen:

Jahr:

1896