Aus welchem Jahr stammt das Zitat: „Man würde Hunderttausende oder sogar Millionen von Leben retten, indem man gewisse Länder wieder zu Kolonien macht“?
Harald Martenstein (geb. 1953) ist deutscher Journalist und Autor. Die Geschichte der Verharmlosung und Rechtfertigung des Kolonialismus mit humanitären Zwecken ist lang. Oft sind koloniale Eroberung und Genozid noch immer nicht Teil von Schul-Lehrplänen ehemaliger Kolonialmächte in Europa oder Nordamerika, so dass dort wenig Wissen und Bewusstsein über die gewalttätigen Auswirkungen besteht. Einige afrikanische Autor:innen plädieren für Ersetzung des „Kolonialismus“ durch „Maafa“ („Großes Unglück“) oder Afrikanischer Holocaust.
Wann sagte ein deutscher Musiker: „Wir wollen es besser machen als die Spanier, denen die neue Welt ein pfäffisches Schlächterhaus, anders als die Engländer, denen sie ein Krämerkasten wurde. Wir wollen es deutsch und herrlich machen“?
Richard Wagner (1813-1883) war deutscher Komponist. Nicht nur in konservativen Kreisen, in denen Richard Wagner verkehrte, war die Begeisterung für Kolonisierung groß. Schon vor der Aufteilung Afrikas 1885 hatte es in Lateinamerika, Afrika und Asien Privatkolonien deutscher Fürst:innen und Händler:innen gegeben, z.B. wurde 1683 im heutigen Ghana eine kurbrandenburgische Kolonie gegründet. Venezuela war von 1528 bis 1558 „Hauskolonie“ des Bankhauses Welser (Augsburg/Nürnberg).
In welchem Jahr wurde mit Entsetzen niedergeschrieben: „Also sind drei Millionen Menschen in den Jahren zwischen XXXX bis XXXX durch Krieg, Versklavung und in den Bergbauminen ums Leben gekommen. Wer in den zukünftigen Generationen wird das glauben?“
Bartolomé de las Casas (1484-1566) Dominikaner und als Bischof in den spanischen Kolonien in Amerika tätig. Die fehlenden Jahreszahlen sind 1494 und 1508, ein Zeitraum von 14 Jahren. In dem ersten Jahrhundert der Besetzung Amerikas verringerte sich die Bevölkerung in einigen Gegenden um 95% durch eingeschleppte Krankheiten und Mord (Federici 2014: 103f.). Aber schon früh gab es Widerstandsbewegungen, z.B. die Taki Onqoy-Bewegung (1560-1572), die im heutigen Peru entstand, die gegen jede Zusammenarbeit mit den Europäer:innen war und für eine Allianz der indigenen Anden-Bevölkerungen stritten (Stern 1982: 50ff.).
Wann wurde folgender Brief verfasst: „Hochedler Bruder und Kapitän Maharero! (...) Nun sieh, es ist unser fester Entschluss, dass wir unser Land und Volk behalten wollen, es möge gehen, wie es will. (... ) Man versucht uns auseinander zu halten.“ [1613 + 1878]
Moses Witbooi oder ǀGâbeb ǃA-ǁîmab (ca. 1807-1888) war ein Nama-Captain im heutigen Namibia. Das Zitat stammt aus einem Brief an den Ovaherero-Captain Maharero ua Tjamuaha. Die Witboois führten die Nama im Widerstand gegen die deutsche Kolonialmacht an. Nach dem Massaker vom Hornkrantz 1893 führte Henrik, Mooses Sohn, einen bis 1894 Guerilla-Krieg an. 1904 schlossen sich Nama und Herero zusammen und leisteten gemeinsam Widerstand. Nach der Niederlage wird geschätzt, dass durch die Deutschen zwischen 1904 und 1908 im „ersten Genozid des 20. Jahrhunderts“ bis zu 70.000 Nama und Herero ermordet wurden (Jorgensen & Markusen 1999: 288).
Wann schrieb ein Autor aus der Karibik: „Der Kolonisator, der im anderen Menschen ein Tier sieht, nur um sich selber ein ruhiges Gewissen zu verschaffen, dieser Kolonisator wird objektiv dahingebracht, sich selbst in ein Tier zu verwandeln“?
Aimé Césaire (1913-2008) war afrokaribisch-französischer Schriftsteller und Politiker, Begründer der Négritude-Bewegung, die danach strebte, Schwarze Menschen von kolonialer Herrschaft zu befreien. Cesaire kritisiert, dass der Kolonialismus vorgebe, "zivilisieren" zu wollen, sein wahres Ziel jedoch immer nur die Ausbeutung war (1968: 8). Die Kolonisierten sowie die europäischen Proletarier:innen hätten dies schon längst verstanden (1968: 6). Cesaire zieht hier Verbindungslinien zwischen Holocaust und kolonialem Genozid, die schon damals kontrovers waren, als er schreibt „was er [der europäische Bürger] Hitler nicht verzeiht, [ist] nicht das Verbrechen an sich (…) sondern, dass es das Verbrechen gegen den weißen Menschen ist“ (1968: 12).
Wann schrieb Olaudah Equiano die folgenden Erinnerungen an seine Versklavung nieder: „Ich wurde bald unter die Decks gebracht und dort empfing meine Nase eine Begrüßung, die ich noch nie in meinem Leben erlebt hatte: mit der Abscheulichkeit des Gestanks und weinend, erbrach ich mich und wurde so krank, dass ich nicht in der Lage war zu essen“?
Olaudah Equiano oder Gustavus Vassa (1745-1797) wurde aus dem heutigen Nigeria in die Amerikas entführt. Nach mehreren Besitzerwechseln lernte er lesen, schreiben und handeln, sodass er sich selbst freikaufen konnte. Er wurde Aktivist in der Anti-Sklaverei-Bewegung. Vom späten 15. bis Mitte des 19. Jahrhunderts sorgte der transatlantische Versklavungshandel sowie die Plantagenwirtschaft für wirtschaftlichen Aufschwung Europas sowie für Armut in Afrikas. Mehr als 12 Millionen Afrikaner:innen wurden in die Amerikas transportiert (Ronald Segal 1995: 4). Ein Fünftel der Versklavten starb bei der Überfahrt. Auf Überfahrt und auf Plantagen bildeten sich jedoch auch vielfältige Widerstände (Linebaugh & Rediker 2008: 190ff.).
Aus welchem Jahr stammt folgender Verfassungsentwurf: „Art. 3. Es können keine Sklaven auf diesem Territorium existieren, Gefügsamkeit ist hiermit für immer abgeschafft. Alle Menschen sind frei geboren, leben und sterben in Freiheit“? [1801 + 1865]
Aus dem Verfassungsentwurf in einem Brief an Napoleon von Toussaint Louverture (1743-1803), ehemals versklavter Haitianer, der den Widerstand gegen Frankreich anführte. Es begann 1791 mit einem Aufstand von 50.000 mehrheitlich versklavten Haitianer:innen gegen die Sklaverei. 1804 wurde Haiti als erster lateinamerikanischer Staat unabhängig. Allerdings boykottierten europäische Staaten und die USA Haiti, da der Wohlstand der Kolonialstaaten auf der Plantagenwirtschaft und Sklaverei begründet war. Frankreich verlangte von Haitis eine hohe Entschädigungssumme. Auf der Weltkonferenz gegen Rassismus 2001 forderte Haiti diese zurück.
Wann sagte eine antikoloniale Aktivistin: „Ich bin wütend auf die Priester und all diejenigen, die zu dieser Mission gehören. Denn wir leben hier auf meinem Land“?
Toypurina, 1760-1799, war eine Tongva/Gabrieliño-Medizinerin und Anführerin eines Aufstandes gegen spanische Missionare im heutigen Kalifornien. Toypurina führte eine Rebellion gegen die San Gabriel Mission in Kalifornien an. Die Missionare unter Junipero Serra waren die Vorreiter der spanischen Kolonisation Kaliforniens. Serra wurde 2015 heilig gesprochen. In allen Regionen der Amerikas wurden indigene Menschen ihres Landes beraubt. In Argentinien (fast 8x die Größe Deutschlands) war die südliche Hälfte des Landes bis Ende des 19. Jahrhunderts unabhängiges indigenes Territorium. Nach der gewaltsamen Eroberung, dem Ausverkauf und der Privatisierung des Landes (u.a. durch Modekonzern Benetton) sind davon heute noch 12.500 Hektar übrig (1 ha ≈ Fußballfeld).
In welchem Jahr sagte ein iranischer Politker vor Gericht aus: „ ... vielleicht meine größte Sünde ist, dass ich Irans Ölindustrie verstaatlicht habe das System politischer und wirtschaftlicher Ausbeutung durch das größte Imperium der Welt beendete“?
Mohammad Mossadegh (1882-1967) war erster Premierminister des unabhängigen Iran. Im Zuge der antikolonialen Bewegungen wurde Mohammad Mossadegh 1951 erster demokratisch gewählter Premierminister des Iran. Er hatte als seine erste Amtshandlung die britisch kontrollierte Ölförderung verstaatlicht. Ab 1953 wiegelte die CIA im Iran die Führungselite gegen Mossadegh auf und bestach die Bevölkerung mit Geld, was 2017 veröffentlichte Akten belegen (Deutsche Welle 2017). Auch in Lateinamerika (Chile 1973, Allende), Afrika (1961 Kongo, Lumumba) oder in Asien (1967 Indonesien, Sukarno ) wurden demokratische Regierungen so gestürzt und durch Diktaturen ersetzt.
In welchem Jahr sprach ein bolivianischer Anführer: „Ich werde sterben. Aber ich werde zurückkommen und Millionen sein.“ [1781 + 2000]
Tupac Katari (1750-1781) war ein Aymara-Anführer in der Rebellion gegen die spanischen Kolonisatoren im heutigen Bolivien. Tupac Katari versammelte eine Armee von 40.000 Kämpfer*innen und belagerte La Paz. Seine Frau Bartolina Sisa hatte die Befehlsgewalt über die Belagerung und spielte nach der Festnahme Kataris eine wichtige Rolle. Aber nach dem Ende des europäischen Kolonialismus wurden neue Hierarchien geschaffen. Die Verteilung von Reichtum in vielen Ländern ist an Klasse, "Rasse" und Geschlecht gebunden. Tupac Kataris Ausspruch wurde 2003 wieder aufgegriffen, als sich die Bevölkerung von Bolivien dem Ausverkauf des Erdgases unter dem neoliberalien Präsident Sanchez de Lozada widersetzte (Guthmann 2017: 98).